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Die 56. Bundesarbeitstagung der Lehrerinnen und Lehrer im Strafvollzug in Bad Staffelstein im Bildungszentrum Kloster Banz bot den 75 Teilnehmern ein vielseitiges Programm rund um Bildungsangebote im Justizvollzug.
Das Kloster Banz bot einen schönen Rahmen für die Tagung.
Prof. Dr. Frank Arloth analysierte in seinem Vortrag das Berufsbild der Pädagogen im Justizvollzug. Er ist Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung Justizvollzug des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Er lieferte viele interessante Fakten und Einschätzungen, wie die Tatsache, dass derzeit in Bayern 52 Lehrende die Bildungsarbeit für 12.000 Gefangene leisten. Er stellt fest, dass die Vorbildung der Gefangenen weit hinter dem Durchschnitt der Restbevölkerung zurückbleibt: Nach einer im Jahr 2012 durchgeführten Erhebung verfügt weniger als die Hälfte der Jugendstrafgefangenen in Bayern über eine abgeschlossene Schulbildung. Entsprechend hoch sei zwangsläufig die Zahl derer, die über keine Berufsausbildung verfügen, sondern als Ungelernte auf dem Arbeitsmarkt nahezu nicht vermittelbar sind. Von bildungspolitischer Bedeutung ist vor allem der Befund, dass nur die Hälfte aller erwachsenen Strafgefangenen und weniger als ein Fünftel aller Jugendstrafgefangenen in Bayern über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt.
Als Aufgabe des Unterrichts sieht es Prof. Arloth, Gefangene in die Lage zu versetzen, fehlende Kenntnisse zu erwerben oder vorhandene zu vertiefen und durch Qualifizierung Erfolgs- und Leistungserlebnisse zu vermitteln. Er fasst zusammen: „Mit anderen Worten: Wir gehen davon aus, dass Bildungsmaßnahmen, seien sie schulischer, beruflicher oder allgemeinbildender Art, entscheidenden Anteil an der Erreichung des Vollzugsziels haben.“ Er führte aus, dass in Bayern allgemeinbildende Kurse wie zum Beispiel Deutsch-, Alphabetisierungs-, Fremdsprachen- oder Computerkurse den Einstieg in ein differenziertes Bildungsangebot bilden. Er erwähnt, dass es in mehreren Vollzugsanstalten im südlichsten Bundesland Lese- und Schreibangebote gibt. Die Bandbreite der Bildungsangebote ist groß: von Alphabetisierung bis zum Studium reichen die Möglichkeiten für die Inhaftierten - natürlich abhängig von der Angebotspalette ihrer Vollzugsanstalt. Herr Arloth führt aus: „Gefangene können hier - abgesichert durch zahlreiche technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen - ein Online-Studium absolvieren. Mittlerweile wurde sogar eine Plattform eingerichtet, die es den Teilnehmern ermöglicht, untereinander und mit dem Dozenten per Video- und Bildschirmpräsentation in Kontakt zu treten und im Zuge dessen auch Gruppenarbeiten zu verrichten.“
Mit Berliner Charme lieferte der Vorsitzende der BAG, Klaus Vogel Ideen und Diskussions-Anstöße.
Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag gab Klaus Vogel Bildende Anstöße. Er ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Lehrerinnen und Lehrer im Justizvollzug e. V. und Leiter der Arbeits- und Berufspädagogik in der Jugendstrafanstalt Berlin. Er lieferte einen provokanten Titel der Tagung: „Unfreiheit als Chance?!“. Diese Zuspitzung zündete und besonders bei dieser Diskussion war ordentlich Feuer unterm Dach. In lebhaften Diskussionen wurden Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit im Strafvollzug erörtert. In seinem Vortrag untersuchte Herr Vogel die inneren und äußeren Bildungs-Bedingungen. Beispielsweise spiele die Dimension Zeit eine große Rolle, zum Beispiel mit Blick auf Lebenszeit, Haftzeit und Tageszeit. Anstöße ergeben sich nach seiner Einschätzung durch die Vollzugsplanung und Zielvereinbarungen. Zudem sei die Verfügbarkeit eines Angebotes relevant, ob es zum Beispiel diverse, passende Auswahl-Optionen gibt. Im Hinblick auf Beratung, Unterstützung, Begleitung und Coaching spielten im Wesentlichen vier Faktoren eine Rolle:
In seinen Ausführungen unterstrich Vogel die Bedeutung von Alphabetisierungsangeboten.
In einem Impuls-Referat ging die angehende Doktorandin Susann Reinheckel aus Berlin der Frage nach, wie es um die vollzugliche Bildung bestellt ist. Sie analysiert in ihrer Forschungsarbeit, ob diese notwendig, nachhaltig und nützlich ist. Besonders drei Thesen boten Gesprächsanlässe.
These 1:
Der Großteil der jungen Strafgefangenen ist lernwillig.
These 2:
Die Rahmenbedingungen müssen in Gänze stimmen, damit vollzugliche Bildung nachhaltig ist.
These 3:
Es bedarf einer selbstverständlicheren Kooperation der unterschiedlichen Berufsgruppen, die in ein Rahmenprogramm eingebunden sind. Dazu gehören z.B. Schule, Sozialarbeit, Psychologen und Allgemeiner Vollzugsdienst.
Im anschließenden Workshop wurden die Thesen von Lehrenden im Strafvollzug diskutiert. Alle waren sich darin einig, dass Strafgefangene lernwillig sind. Abweichende Meinungen gab es lediglich dazu, ob alle Inhaftierten heiß auf Bildungsangebote sind. Im konstruktiven Austausch kamen alle Workshop-Teilnehmer zu Wort. Unfreiheit wurde insofern als Chance gesehen, als Gefangene mit Blick auf Bildung viel Zeit und wenig Ablenkung haben. Durch das Lernsetting würden die Inhaftierten oft ihre Chancen in den Blick nehmen und ihre Haftzeit positiv gestalten können. Dies mache den Haftalltag angenehmer. Als wünschenswert wurde angesehen, dass Unterrichtsräume möglichst keine Gitter haben, damit sie ein angenehmerer Ort im Vollzug werden.
Andreas Strassemeier von der JVA Bremen hatte spannende Geschichten mitgebracht. Unter dem Titel „Ich lese für dich“ präsentierte er Gute-Nacht-Geschichten aus dem Gefängnis. Eine Medienpädagogin hatte im Gefängnis mit Inhaftierten vorgelesene Geschichten aufgenommen, professionell vertont und als CD produziert. Diese wurden den Familien überreicht. So konnten die Kinder beim Einschlafen die Stimme Ihrer Eltern hören. Hintergrund: Die ca. 70.000 Gefangenen in Deutschland haben über 100.000 Kinder. Strassemeier spielte Hörproben vor, die für Gänsehaut der Tagungsgäste sorgten.
Müde wurde keiner bei den Gute-Nacht-Geschichten.
Dr. Benjamin Bieber, Mitarbeiter in der Frauenvollzugsanstalt JVA Frankfurt III zeigte anschaulich und lebendig wie Menschenrechtsunterricht in der JVA gelingen kann. Er berichtete vom „Schulprojekt Anne Frank“. Gemeinsam mit Inhaftierten wurde Anfang des Jahres ein Zeitzeugengespräch organisiert. Buddy Elias - der Cousin von Anne Frank – und seine Frau Gerti erzählten aus dem Leben von Anne Frank und ihrer Familie. Sie lasen Briefe und Aufzeichnungen vor und diskutierten mit den Gefangenen. Bieber präsentierte Fotos und Berichte die zeigen, welche beeindruckenden Ergebnisse in der Bildung im Strafvollzug möglich sind. Die weiblichen Gefangenen die die Veranstaltung mit organisierten identifizierten sich sehr mit den Inhalten und gingen so in der Organisation der Lesung auf, dass sie zeitweise selbst vergaßen, dass sie Inhaftierte sind, wenn sie sagten: „Hier vorne sitzen wir Orga-Leute und da hinten die Gefangenen…“
Nicht zuletzt stellten Andreas Brinkmann, Tim Tjettmers Lehrenden des Strafvollzugs Ziele und Wege des Projekts RAUS vor. 13 Tagungsgäste sagten, dass sie derzeit in ihrer Strafanstalt Alphabetisierung anbieten. Der Vortrag fiel auf fruchtbaren Boden. Es ergaben sich zahlreiche Gespräche und ein intensiver fachlicher Austausch, der auf spannende Kooperationen hoffen lässt.
Andreas Brinkmann und Tim Tjettmers informierten über Ziele und Wege des Projekts RAUS.
Die RAUS-Mitarbeiter bedanken sich bei der BAG herzlich für das abwechslungsreiche Programm, die zahlreichen Impulse, die herzliche Begleitung und die Einladung. Wie sagte es Klaus Vogel so schön: „Das hier wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“ – Wir freuen uns auf die weitere Kooperation.
Die Vorträge und weitere Informationen finden Sie hier.
Am 01. Juli 2015 fand die RAUS-Fachkonferenz "Alphabetisierung und Grundbildung im Strafvollzug " im Sofitel Berlin Kurfürstendamm statt. Zur Dokumentation gelangen Sie hier.
Kostenlose Schulungen für Multiplikatoren aus den Bereichen Strafvollzug und Straffälligenhilfe durch. Mehr Informationen hier.
Zum Welttag des Buches 2015 wurde der Materialienpool veröffentlicht. Zum Materialienpool gelangen Sie hier.
Aktuelle Termine des Projekts RAUS finden Sie hier.